Die Kunst, ohne Überfluss glücklich zu leben – von Josef Kirschner. Rezension

Bewertet mit 4 von 5
Rezension zu "Die Kunst, ohne Überfluss glücklich zu leben"

Josef Kirschner, der den 2. Weltkrieg als Kind erlebt und mit dem Wiederaufbau groß geworden ist, sieht den zunehmenden Überfluss sehr kritisch, ja sogar als Bedrohung. Denn der Überfluss suggeriert uns, alles kaufen zu können, was uns glücklich macht. Dabei verlieren wir jedoch immer mehr unsere wirklichen Bedürfnisse aus den Augen. In 35 Kapiteln begleitet er den Leser auf dem Weg zurück zu sich selbst.

„Vielleicht entdecken Sie dann schon sehr bald, dass das wahre Abenteuer unserer Zeit nicht die Flucht in den Überfluss ist, sondern die Wiederentdeckung des so lange von uns vernachlässigten, faszinierenden Ichs.“

Inhalt

Überfluss rührt meistens daher, sich Lust zu verschaffen. Wir haben Lust auf ein neues Objekt. Der Kauf erhöht die Lust. Doch nach kurzer Zeit lässt diese nach – und wir haben mehr Objekte als wir brauchen. Weil die Lust nachlässt, geht es von vorne los. Nur der Verzicht als positiver Gegenpol führt dazu, den vorhandenen Besitz tatsächlich zu genießen. Den Besitz, der tatsächlich unseren Bedürfnissen entspricht. Dies zu genießen und auszukosten, führt zu wahrem Glück – nicht die ganzen gekauften Ablenkungen.

“Immer mehr ersetzen wir das Streben nach Glück durch Ausweichen in die Quantität. Statt ‚in die Tiefe‘ zu leben, bleiben wir an der Oberfläche. Das hektische Angebot an Abwechslungen und Neuerungen lässt uns keine Zeit mehr, zu genießen, was wir besitzen.”
Rezension "Die Kunst ohne Überfluss" - Kaufrausch

Wir kaufen auch oft neue Dinge, weil wir keine wirkliche Beziehung zu unserem Besitz haben. Er wird uns von der Mehrheit aufgeschwatzt mit fremden Wertvorstellungen – nicht unseren eigenen Wertvorstellungen. Deshalb sind wir der Sache schnell überdrüssig und kaufen aus Enttäuschung etwas Neues, das uns mehr Befriedigung verschaffen soll. Aber auch dies geschieht aus manipulativem Impuls anderer und so kommt es immer häufiger zu einer Quantität statt Qualität, was unsere Bedürfnisbefriedigung angeht.

Dabei wäre es sogar finanziell günstiger, uns nur anzuschaffen, was wir wirklich benötigen und nicht ständig nach etwas Neuem greifen. Deshalb sollten wir uns daraufhin trainieren, diszipliniert „nein“ zu sagen.

Kirschner spricht viel von „Disziplin“ und „Verzicht“, und meint das gar nicht so negativ wie es klingt. Mit Disziplin meint er keinen Gehorsam oder keine Unterordnung unter Obrigkeit und Gesellschaft, sondern Selbstdisziplin als Ausbruch von Abhängigkeiten auf dem Weg zu eigener Freiheit. Verzicht ist der gute Gegenpol zum Überfluss, der die Waage hält. Ein Beispiel: Wir essen häufig nicht, wenn wir Hunger haben und der Körper Nahrung braucht, sondern weil es die Gewohnheit gebietet oder die Arbeit uns zu einer bestimmten Zeit Essenspause vorschreibt. Auch was wir essen wird uns oft durch die Gesellschaft vorgeschrieben – und das ist nicht immer etwas, was der Körper braucht. Der Verzicht ist ein natürlicher Regulator, damit es uns gut geht. Das zu essen, was unserem Körper gut tut. Und dann zu essen, wenn wir Hunger haben und aufzuhören, wenn wir satt sind – nicht erst wenn der Teller leer ist.

“Sehr häufig füttern wir den Körper auch mit Nahrung, die er nicht bewältigen kann und die ihn krank macht. Wir zwingen unseren Körper zu einem überflüssigen Abwehrkampf gegen überflüssige Nahrung, die wir in ihn hineinstopfen. Wir tun das alles, weil wir unsere Lebensgewohnheiten in hohem Maße danach richten, was uns von anderen vorgeschrieben wird.“

Der Weg raus aus dem Überfluss ist der Weg raus aus Gruppenzwängen. Alkohol, Zigaretten, „mein Haus, mein Auto…“ – sich von diesen gesellschaftlichen Zwängen zu lösen kostet Überwindung und Kraft. Doch es zeugt von Selbstbewusstsein, seinen eigenen Weg zu gehen – das die anderen nicht haben. Der Konsum soll dies überdecken, ist die Flucht vor diesem fehlenden Selbstbewusstsein, dient als Ersatz, „etwas zu sein“. Dabei können wir uns Erfolg und Stärke nicht kaufen.

Rezension "Die Kunst ohne Überfluss" - Konsum, Haus, Auto
„Wir kaufen und kaufen und stürzen uns in den Überflusskonsum, und das nur, weil wir in uns selbst nicht nach den Kräften suchen, die uns die natürliche Sicherheit geben könnten. Die Kräfte, die viele unserer Probleme ganz von selbst lösen würden – wenn wir sie nur ungehindert loslegen ließen. […] Denn nur in uns selbst finden wir die Lösungen für unsere Probleme und unser persönliches Glück.“

Kirschner appelliert daran, in sich hinein zu horchen und seine wahren Bedürfnisse herauszufinden. Wobei er auch die Methoden dafür mit an die Hand gibt. Neben Meditationen ermutigt er einen auch, die Meinungen anderer mal außen vor zu lassen und nur auf sich selbst zu hören. Einfach mal du selbst sein und die Wirkung auf andere ausblenden. Und plötzlich die Freiheit spüren, wenn man ganz im Selbst ist. Hier spielt auch das Thema Glück mit rein. Wer sein persönliches Glück gefunden hat, braucht keinen Ersatz mehr im Überfluss.

„Nur wer nicht weiß, wie er allein sein Glück finden kann, sucht nach Ersatzangeboten. Er gibt sich mit dem zufrieden, was er täglich neu von anderen kaufen muss. […] Jene Menschen, die bereit sind, ihr Glück täglich neu zu erkämpfen, sind glücklicher als jene, die versuchen, es sich immer wieder neu zu erkaufen.“

Kirschner gibt auch Hinweise für eine Alltagsgestaltung. Z. B. nicht das Auto zu nehmen, wenn man auch zu Fuß gehen (Anm.: oder Fahrrad fahren) kann. Dies ist für Kirschner nicht bloß eine Sparmaßnahme, sondern das „Mindset“, Probleme selbst zu lösen (selbst laufen) anstatt anderen (dem Auto) zu überlassen. In diesem Fall trägt dies sogar etwas gegen mangelnde Bewegung bei. Probleme selbst zu lösen, z. B. kleinere Reparaturen, gibt einem auch selbst das Erfolgserlebnis. Gebe ich die Aufgabe ab, ist auch das Erfolgserlebnis weg. Seine Probleme selbst in Angriff zu nehmen ist vielen Menschen verloren gegangen. Stattdessen wird die Verantwortung abgeschoben:

„Sie trauen sich nichts anderes mehr zu, als zu jammern oder zu protestieren. Statt ein Problem zuerst im eigenen Bereich zu lösen.“

Besonders eindrücklich finde ich den Bericht eines Experimentes von Kirschner. Er ließ sich mit seinem Sohn eine Woche ohne große Ausrüstung auf einer einsamen Insel aussetzen. Das Schlimme war für ihn nicht, Schnecken zu essen. Schlimm war für ihn, nicht in den Konsum flüchten zu können. Seine Ängste nicht mit Ablenkung überspielen und seine Probleme nicht mit Geld lösen zu können. Probleme und Ängste durch Konsum zu überdecken und nicht im Einklang mit sich selbst zu lösen, schafft keine dauerhafte Befriedigung, war für Kirschner die Erkenntnis. Konsum ist oft die vermeintlich einfache Flucht vor Problemen. Z. B. Partner und Kinder mit Geschenken zu vertrösten anstatt sich Zeit zu nehmen wird niemanden dauerhaft glücklich machen.

Rezension "Die Kunst ohne Überfluss" - Konsumverzicht auf einsamer Insel

Fazit

Dieses Buch ist, möchte man den Inhalt anwenden, keine leichte Kost. Es ruft den Leser dazu auf, tief in sich zu gehen und seinen wahren Bedürfnissen auf den Grund zu gehen. Darauf muss man sich einlassen und sich diese Bedürfnisse auch zugestehen. Kirschner ruft dazu auf, seine Probleme zu lösen, und zwar sie selbst zu lösen und die Verantwortung für sie zu übernehmen. Konsum ist nicht die Lösung – zumindest nicht für nachhaltiges Glück.

Zuweilen kommt Kirschner neben den vielen Tipps auch ins Plaudern. Er erzählt Geschichten aus seinem Leben, die die Themen Konsum und Selbstfindung mit Praxisbezug versehen sollen. Dies gelingt ihm auch. Die Geschichten sind nett zu lesen und festigen und verdeutlichen seine Thesen, wenngleich sie manchmal etwas langatmig sind. Was aber bei einem schlanken Buch über 191 Seiten keinen Abbruch tut.

Einen Stern Abzug gibt es für einige altbackene Meinungen, die wohl einfach der Zeit der Entstehung des Buches (1982) geschuldet sind. Wenn man darüber hinweg sieht, bietet es sehr gute Anregungen. Denn Vieles ist aktueller denn je – schließlich ist der (übermäßige) Konsum noch weiter fortgeschritten als 1982.

Neuere Glücksforschung

Da das Buch schon einige Jährchen alt ist, habe ich hier noch aktuelle Informationen zum Thema Konsum und Glück: Studien haben herausgefunden, dass nicht der Kauf von Dingen uns glücklich macht, sondern Erlebnisse zu einem glücklicheren Leben beitragen. Zudem machen viele kleine Erlebnisse wie Ausflüge am Wochenende uns noch glücklicher als z. B. ein seltener Luxusurlaub. Eine Metastudie über all diese Studien findest du hier.

Teile also dein Geld weise ein – und kaufe nicht Dinge, sondern viele kleine Erlebnisse.

Und welche Erlebnisse es kostenlos gibt, kannst du in diesem Video erfahren:

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